Das Jahr 1945 war für Strasburg (Um.) ein bewegtes und prägendes Jahr. Bis zum Jahresende 1944 blieb die Stadt weitgehend von den Zerstörungen des Krieges verschont. Doch mit dem Beginn des neuen Jahres änderte sich das Bild. Flüchtlinge aus Ostpreußen und Pommern zogen in langen Trecks durch die Stadt. Eine regelrechte Völkerwanderung voll Elend, Heimatlosigkeit und Tod setzte ein. Am Straßenrand lagen massenhaft verendete Pferde – Opfer der Strapazen.
Schon seit Kriegsbeginn war das Leben der Strasburger vom Krieg geprägt. Verdunkelungspflicht, Lebensmittelrationierung und die Einquartierung Evakuierter bestimmten den Alltag. Viele Männer waren zur Wehrmacht eingezogen, was nicht nur die Familien, sondern auch die Arbeitswelt und Verwaltung stark belastete. In den letzten Kriegsmonaten verschärfte sich die Lage nochmals. Am Stadtrand wurden Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene untergebracht, teils in Baracken mit Stacheldraht, streng bewacht. Die Angst und das Bangen um das Leben der Männer an der Front gehörten zum Alltag.
Am 26. April 1945 wurde die Räumung der Stadt angeordnet, da sie zum Frontgebiet erklärt wurde. Die Bevölkerung floh in die umliegenden Wälder, darunter Burgwall, Rothemühl oder Schönhausen. Nur wenige Bürger blieben zurück. Am 28. April erreichte die Rote Armee die Stadt. Viele Bewohner verließen fluchtartig ihre Häuser. Im Osten der Stadt errichtete man eine sowjetische Funkstation, der westliche Teil des Stadtkerns jedoch fiel den Bränden zum Opfer – insgesamt wurden 224 Häuser mit 369 Wohnungen zerstört. Löschversuche blieben erfolglos, da die Wasserversorgung zusammengebrochen war.
Besonders tragisch waren die zahlreichen Selbsttötungen, die sich in dieser Zeit ereigneten – etwa 200 Menschen, darunter viele Flüchtlinge, schieden freiwillig aus dem Leben. Manche erhängten sich, andere wählten Ertrinken oder nahmen Gift. Diese Verzweiflung zeugte von der ausweglosen Lage vieler Menschen. Selbstmorde waren oft die letzte Möglichkeit, dem drohenden Schicksal zu entgehen. Die Not war groß – es gab kaum Wasser, kein Brot, keine Versorgung. Viele Türen standen offen, Häuser waren verlassen, alles lag in Trümmern. Die Menschen versuchten verzweifelt, in dieser Ungewissheit zu überleben.
Mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen wurde eine neue Verwaltung eingesetzt – sie bestand zunächst aus KPD- und SPD-Mitgliedern. Erste Maßnahmen galten der Wiederherstellung der Ordnung: Straßen wurden von Trümmern befreit, die Wasserversorgung repariert, Toten beerdigt, Strom wiederhergestellt. Inmitten des Mangels und des Elends wurden Brotwagen eingesetzt, um die Bevölkerung notdürftig zu versorgen. Wohnungsnot blieb jedoch ein dauerhaftes Problem – zusätzlich verschärft durch die Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen.
Diese Ereignisse markieren einen tiefen Einschnitt im Leben vieler Menschen. Die persönlichen Erinnerungen – ob in Form von Tagebuchaufzeichnungen oder mündlichen Berichten – geben ein eindrückliches Bild jener Tage. Der Krieg brachte Leid, Tod und Verwüstung, aber auch Hoffnung auf einen Neuanfang.
Nur das Erinnern hilft gegen das Vergessen – auch wenn die Orte der Erinnerung heute nicht mehr gepflegt sind.
Text/Fotos: Anne Collier